Unverhofft kommt oft. Das merkte ich an meinem letzten NAFGEM-Arbeitstag am Dienstag. Eine Misereor-“Jugendgruppe” aus “Hannover” war mir von meinen NAFGEM-Kollegen angekündigt worden. Zumindest hatte ich das so verstanden. Genau deshalb hatte ich mich ja auch als Animateur angeboten und für den Abend im verruchten Malindi-Club eine bierselige Runde mit meinen Mit-Volontären aus Moshi und den Besuchern arrangiert. Aus drei Jeeps kletterten dann morgens etwa anderthalb Dutzend 40- bis 70-jährige Priester, Hilfswerk-Angestellte und Ehrenamtler aus Essen und Aachen. Interessant. Meine ganze “gedankliche” und auch praktische Vorbereitung war soviel wert wie der tansanische Schilling im Verhältnis zum Euro. Also nix. Immerhin kamen einige der “Schützlinge” von Misereor, soviel stimmte. Der Rest der Gruppe setzte sich aus Abgesandten von Caritas und der “Aktion Sternsinger” zusammen.

Mit ihnen und meinen Kollegen besuchte ich an meinem letzten NAFGEM-Arbeitstag zunächst die Schule von Juliana, jenem Mädchen, das sich mutig, erfolgreich und in ihrem Landkreis auch durchaus aufsehenerregend gegen Zwangsehe und -beschneidung gewehrt hatte. In Julianas Klasse informierten wir die Mitschülerinnen und -schüler darüber, was Genitalverstümmelung eigentlich heißt, und warum die Praxis frauenverachtend und gesundheitlich so gefährlich ist. Unsere Gäste aus Deutschland schauten dabei zu. Im Rahmen des Vortags zeigten wir das authentische Video der Beschneidung eines dreijährigen Mädchens. Ich hatte in meinem Tagebuch schon einmal darüber berichtet, dass dieses Video kaum zu ertragen ist. Das bestätigte sich auch jetzt wieder: Die drei anwesenden Lehrerinnen (ausgerechnet die!) von Julianas Schule verließen die Vorführung. Ein Priester unserer Gruppe ertrug den Film ebenfalls nicht und legte sich mit Kreislaufproblemen auf die Rückbank des Busses.

Von der Schule ging es weiter ins tiefste Maasailand. Dort besuchten wir ein NAFGEM-Umschulungsprojekt. Ehemalig hauptberufliche Beschneiderinnen stellen stattdessen (das “stattdessen” hoffen wir zumindest) nun Schmuck her und verdienen sich damit ihren Lebensunterhalt. Für unsere Reisegruppe war ein Tisch mit selbstgemachtem traditionellen Maasai-Schmuck aufgebaut. Das sorgte zwar für einen gewissen Kaffeefahrt-Charakter. Andererseits: Wann bietet sich schon einmal die Gelegenheit, definitiv authentischen und handgemachten Maasaischmuck direkt bei Hersteller zu kaufen? Also griffen wir alle zu wie 17-jährige Realschüler bei ihrem ersten Besuch im Tabledance-Club. Ich auch – und hatte damit auf den letzten Drücker auch noch schöne Begrüßungsgeschenke für meine Frau Anna gefunden. Abends blieb das ganz große Trinkfestival aus, die Besuchsgruppe und meine Mit-Volunteers hatten “einfach nur so” gemeinsam einen netten Abend.

Es war gut, dass es nicht allzu spät wurde. Denn ich habe Anna gestern früh – sehr früh, um 6.40 Uhr! – vom Flughafen abgeholt. Damit sollte für mich eine neue Zeitrechnung beginnen. Raus aus der Privatunterkunft, rein ins Hotel. Schluss mit Arbeit. Die innere Uhr ausschalten, Zweisamkeit und Urlaub genießen. Doch allzu krass war der Übergang nicht. Denn Anna wird für deutsche Mädchen- und Frauenzeitschriften über das Thema Genitalverstümmelung schreiben. Deshalb hatten wir Juliana gestern Mittag nach Moshi eingeladen. Anna hat sie und die NAFGEM-Mitarbeiterinnen interviewt. Zuvor haben wir noch für Juliana ein Bankkonto eröffnet, auf das Schulgeld und Spenden eingezahlt werden können; NAFGEM verwaltet das Konto. Es war toll für mich zu sehen, wie gut sich Honorata und Asifiwe von NAFGEM mit Anna verstanden haben. Nachmittags sagte Anna, sie fühle sich, als sei sie schon tagelang hier. Das ist doch mal ein Kompliment an Moshi und NAFGEM, oder?

Heute lassen wir es gaaanz ruhig angehen. Es gibt nur zwei echte Programmpunkte: gleich das Abschiedsmittagessen (typisch tansanische Küche: Cheeseburger…) mit NAFGEM. Und danach im YMCA-Schwimmbad in der Sonne liegen, den mitgebrachten “kicker” und “11 Freunde” lesen.

Viel anders wird auch der morgige Tag nicht aussehen – bis 16 Uhr. Dann fahren wir zum Tuleeni Waisenhaus und sprechen nach dem Fußballspielen mit den Waisenhaus-Leitern über Möglichkeiten, sie und die Kinder dauerhaft und nachhaltig (da ist es wieder, dieses Wort) zu unterstützen. Zwar ist Anna erst einen Tag hier. Nicht nur wegen des Gefühls, wieder zu zweit zu sein, ist es perfekt. Gemeinsam sind wir Teil des Alltags. Das ist etwas, was kein Reiseveranstalter bieten kann und mit keinem Geld der Welt zu kaufen ist.

 

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