Sonntag, sieben Uhr morgens in Moshi. Draußen schrubbt die Magd seit 5 Uhr den gepflasterten Hof, so wie jeden Tag. Ich sitze auf dem Sofa im Wohnzimmer der Gastfamilie und stelle fest, dass die vergangenen Tage zum Glück reichhaltiger waren als das heutige Frühstück: das Instant-Kaffeepulver ist leer, die Ananas-Marmelade reicht nur noch so eben für eine Scheibe Brot. Jetzt wären ein schwarzer Kaffee und zwei Krusti der Bäckerei Kahn aus der Blutenburgstraße in München perfekt. Mit Käse, bitte.
Vier Tage habe ich keinen Tagebucheintrag geschrieben. Ich weiß, das ist auch Käse.
Dafür drücke ich jetzt auf die Tube (leider nicht auf die der Remoulade, die gut aufs zweite imaginäre Käse-Schinken-Brötchen passen würde) und serviere die vier Tage in kleinen, mundgerechten Stücken.
Mittwoch zog NAFGEM aus zu einer Dienstreise – ohne mich. Ich blieb in Moshi und erledigte ein paar Dinge. Für mittags hatte ich mich im schönen Garten des Kindoroko Hotels mit den beiden Leitern des SWIWSCO Waisenhauses, Collins und Pamela, verabredet. Sie hatten um dieses Treffen gebeten und als wir bei Kaffee und Cola dasaßen, erfuhr ich, warum. Ihr amerikanischer Sponsor sei abgesprungen. Sie wüssten nicht, so Collins und Pamela, woher sie das Geld für das Essen ihrer 39 Kinder nehmen sollen. Das konnte ich so spontan leider auch nicht sagen und mehr als die Idee, als regelmäßige Einnahmequelle wöchentliche Kochkurse “Tansanische Küche – Cooking with Friends” für Touristen anzubieten, konnte ich nicht aus dem Rucksack zaubern, erst recht kein Bargeld. In diesem Zusammenhang erfuhr ich eine interessante Zahl. Die Zahl lautet 17 – siebzehn Dollar, also nicht einmal 15 Euro, sind monatlich nötig, um ein Kind satt zu bekommen. Auch wenn mein Herz eigentlich für Tuleeni schlägt, lassen mich seither SWIWSCO und die magische 17 nicht mehr los.
Restprogramm Mittwoch: Anzahlung Safari Tarangire/Ngorongoro (weil’s so schön ist, mache ich die Tour erneut, diesmal mit Anna und vier Volontärinnen), Mittagessen mit Marei und Lisa, wobei es so heiß war (angeblich 39 Grad), dass wir uns mit großen Schweißflecken auf Hose und Kleidern von den Plastikstühlen erhoben. Nachmittags Schwimmen im YMCA.
Am Donnerstag war ich für eine Sekunde sprachlos. Das war nachmittags, als zwei Frauen der Aidshilfe Tübingen bei uns im NAFGEM-Büro erschienen. Ich erzählte ihnen, was ich hier so treibe, da stellten sie mir die Frage: “Und wie ist es mit der Nachhaltigkeit?” Äh, ja, gute Frage. Das ist es ja, was mich so beschäftigt: Wie schaffe ich es, dass “etwas bleibt” von dem, was ich hier in den zehn Wochen Tansania gemacht habe.
Dabei lag eine schlagfertige Antwort nahe. Gerade mal eine Stunde zuvor hatte ich gemeinsam mit Maja und Pfarrer i.R. Dr. Günter Kohler vom KCMC Krankenhaus ein Mittagessen initiiert, aus dem sich hoffentlich sehr viel entwickelt. Als “Hauptdarsteller” saßen NAFGEM sowie Pfarrer Lyimo, Leitender Seelsorger des KCMC, dem größten Krankenhaus in Moshi, am Tisch. Warum das interessant ist? Von NAFGEM weiß ich, dass sie Mädchen ermutigen, sich gegen die Genitalverstümmelung zu wehren und gegebenfalls von Zuhause wegzulaufen. Nur: Ist es soweit, stellt sich jedes Mal aufs Neue die Frage, wo die Mädchen eigentlich untergebracht werden sollen. Von Pfarrer Lyimo weiß ich, dass er nahe bei Moshi das “Door of Hope” gegründet hat, ein Frauenhaus insbesondere für Maasai-Mädchen. Passt doch irgendwie ganz gut, oder? Wenn also beide Seiten künftig mit- statt nebeneinander arbeiten, dann würde ich das durchaus als “nachhaltig” bezeichnen. Die Stimmung am Tisch machte mir jedenfalls Hoffnung, dass es klappen könnte.
Restprogramm Donnerstag: Beim Tuleeni-Fußball in vollem Spurt über einen Erdhügel stolpern und sich über die vielen Schürfwunden auf der linken Körperhälfte freuen. Später beim Motorradtaxi mit dem nackten Bein an den heißen Auspuff kommen und sich über die große Brandblase freuen.
Die interessanteste Dienstreise der Woche stand Freitag auf dem Programm. Es ging tief ins Maasai-Gebiet nach Siha. Dort hatten einige Beschneiderinnen ihre Werkzeuge (Rasierklingen, Messer, Scherben) abgegeben und nehmen im Gegenzug eine “Umschulung”, zum Beispiel zur Hebamme, von NAFGEM in Anspruch. Freitag kamen Beschneiderinnen sowie die Community Leader zusammen, um zu diskutieren. Denn so einfach ist das bei den Maasai nicht, der Ritus der Beschneidung und Zwangsheirat junger Mädchen ist nicht mal eben so als “beendet” zu erklären. Dafür ist diese Tradition zu fest verwurzelt. Und so reisten meine NAFGEM-Kolleginnen mit gemischten Gefühlen ab: Ja, der wichtige Anfang war gemacht. Aber der Weg, bei den Maasai wirklich etwas zu verändern, ist noch sehr, sehr lang.
Restprogramm Freitag: Sehr, sehr lang sollte auch die Nacht in der Disco “Glaciers” werden. Deshalb mietete ich mich im Lutheran Umoja Hostel in der City ein, um nicht spät nachts noch meine Gastfamilie wecken zu müssen (das Grundstück ist nachts verriegelt). Nun ja, das Umoja Hostel – in dem ich ab kommenden Dienstag mit Anna eine ganze Woche lang wohnen werde -, ist wirklich okay. Auch ohne warmes Wasser. Die Freiluft-Disco hingegen war kein Hit. Wenig los, hoher Anteil an Volunteers, schlechte Musik, kaum Stimmung. Da hätten Christopher, Florian und ich besser unser “Vorglühen” zum Hauptprogramm des Abends gemacht.
Natürlich wurde es trotzdem spät und so freute ich mich auf einen höchst entspannten Samstag. Gemeinsam mit neun Voluntärinnen verbrachte ich den Tag an (und in) den “Boma Hot Springs”. Wenngleich das Wasser alles andere als “hot” ist, verbirgt sich dahinter ein kleines Naturwunder: Es sind zwei kleine Seen mir einer Verbindung dazwischen. Diese erdnussförmige Oase wird vom einem Fluss gespeist, was dafür sorgt, dass das Wasser in Bewegung bleibt und der See nicht zum Schlammloch verkommt. Inmitten einer kargen, staubtrockenen, fast wüstenartigen Umgebung ist so ein kristallklares Paradies entstanden – mit einer reichen Vegetation und vielen Tieren wie Affen, Leguanen und auch Fischen. Diese Fische knabberten uns beim Ausstieg aus dem Pool an den Beinen. Da wir durchweg keine Schuppenflechte-Patienten sind und wir uns zudem in einem doch irgendwie fragwürdigen afrikanischen Wasserloch befanden, haben wir diesen Service aber nicht in Anspruch genommen.
Am Ende noch zwei Hinweise, quasi als Belohnung fuers Durchhalten der vier Tage im Schnelldurchlauf: Auf YouTube stehen jetzt im Kanal TheButterbrod auch das wunderschoene “Lean on me” der Tuleeni-Kinder vom vergangenen Samstag sowie das Bockspringen bei meiner ersten Trainingseinheit dort.