Gib dem Affen Zucker

Heißt eine NDR-3-Sendung nicht “Unser schöner Norden”? Für Tansania gilt das ebenso. Wie Handyläden und Billigbackshops in deutschen Innenstädten sind hier oben die wunderbarsten und namhaftesten Naturschönheiten aneinandergereiht. Über allem wacht erhaben der Kilimanjaro. Auf der Rückfahrt vom Tarangire Nationalpark und dem Ngorongoro-Krater rundete der Anblick dieses majestätischen Bergmassivs mein erstes Safari-Wochenende vollends ab.

Der Tarangire Nationalpark und der Ngorongoro-Krater liegen – grob gesagt – fünf Autostunden westlich von Moshi. Wir waren nicht wie erwartet zu dritt – Sarah und Hannah, beides Studentinnen aus England, und ich – unterwegs, sondern zu viert. Mit uns begab sich die überaus freundliche Anne, eine Lehrerin aus dem schwäbischen Metzingen, mit auf Safari. Ihr Dialekt weckte bei mir angenehme Erinnerungen an die Treffen der “VfB Freunde München”. Subbä!

Subbä war schon die Fahrt zum Tarangire Nationalpark. Zwar holperte der Jeep trotz seiner Stoßdämpfer gewaltig ü ber die Buckelpiste. Aber es war trotzdem toll, die Veränderung der Landschaft zu sehen. Rund um Moshi ist es relativ grün und üppig. Je weiter wir uns entfernten, desto karger wurde es. Vor allem hinter dem überaus hässlichen, sogar am arbeitsfreien Sonntag mit Autos vollgestopften Touristen-Hotspot Arusha (das lag etwa auf halber Strecke) war es extrem unwirtlich. Ein paar Büsche auf dem sandigen Boden, sonst nichts. Ein Wunder, dass die Massai samt ihrer Viehherden hier überleben können.

Am Eingangstor zum Tarangire Nationalpark machten wir beim Mittagessen unsere erste Bekanntschaft mit frechen Affen. Erst schlichen sie sich langsam an unseren Tisch heran. Als sie sich sicher sein konnten, dass wir sie auch wirklich “awesome” bzw. “amazing” bzw. “cute” fanden, griffen sie plötzlich und in wirklich affenartiger Geschwindigkeit von unter dem Tisch in unsere Lunchboxen, rissen alles Greifbare raus, flüchteten ein paar Meter weiter und sicherten sich so ihre Mahlzeit. Doch dies sollte erst der Auftakt einer unglaublichen Affenshow sein…

Mit dem Tor zum Tarangire Nationalpark öffnet sich eine eigene Welt. In dieser Welt gibt es viele Bäume, darunter den mächtigen Baobab-Baum, Sträucher und Gräser, Wasserstellen oder gar Flüsschen – und jede Menge Tiere. Gleich nachdem wir das Tor passierten kreuzten Warzenschweine, Zebras, Antilopen, Elefanten und eine Giraffe unseren Weg. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, es wären Kostüme gewesen und darin steckten Statisten, die den Touristen die heile Sielmann- und Grzimek-Welt vorgaukeln sollten. Faszinierend übrigens, wie gut sich die kolossalen Giraffen tarnen können. Manchmal sah ich Giraffen erst, als sie quasi schon auf der Motorhaube saßen und dort Skat spielten.

Es war ein großartiges Erlebnis, durch diesen so lebendigen und abenteuerlichen Nationalpark zu gondeln. Der Jeep hatte ein aufklappbares Dach, und so konnten wir die ganze Zeit im Fahrzeug stehen und hatten keine Scheibe zwischen uns und den Tieren. Ich hoffe allerdings sehr, dass es hier Beschränkungen der Besucherzahl gibt, um die Tierwelt nicht allzu sehr zu stören. Viele Jeeps sah ich glücklicherweise nicht.

Auf der Fahrt über die vorgegebenen Pisten haben mich nicht die Giraffen, die eng zusammenmarschierenden Elefanten-Herden oder die imposanten Löwen am meisten beeindruckt. Diese hatten gerade einen Büffel erlegt und taten sich (wie unsereins beim ersten Bissen einer Tiefkühlpizza mit hartem Rand) etwas schwer, einen Anfang zu finden. Nein, unterm Strich gefielen mir die bunten Vögel sowie die unerschütterlichen und “formschönen” Bäume am besten. Vielleicht liegt das am Alter, dass sich die Vorlieben etwas in Richtung Verschrobenheit entwickeln…

Nach einer insektenfreien Übernachtung in einem quirligen Städtchen mit dem schönen Namen Mto wa Mbu (“Moskitofluss”) ging’s in aller Herrgottsfrühe weiter zum Ngorongoro Krater. Dort folgte am Eingangstor ein spektakuläres Erlebnis mit Affen. Wie schon in Tarangire versuchten sie, Lebensmittel zu stehlen. Zwei Paviane wagten sich dabei in einen leeren, aber offen stehenden Jeep. Als der Fahrer sie erblickte, wollte er die Affen verscheuchen. Da wählte einer der überaus kräftigen Burschen die Frontscheibe des Jeeps als Fluchtweg. Diese zerbrach zwar nicht, hatte danach aber tausend Risse. Bei Aktenzeichen XY würde die Suchmeldung in etwa lauten: “Der verdächtige Branko Brutalovic hat eine Narbe an Stirn. Vorsicht, er gilt als äußerst gewaltbereit.” Spätestens ab da hielten wir respektvollen Abstand von den Affen.

Den Ngorongoro-Krater ist wie ein gigantischer Suppenteller, bei dem man sogar von einem Ende zu anderen blicken kann: innen nahezu flach, mit einem recht hohen Rand drumherum. Als wir von diesem dicht bewachsenen, beinahe urwaldartigen Rand in die Tiefe fuhren, stellten wir verwundert fest, dass es nicht viele Bäume gibt. Eigentlich kaum welche. Der Krater ist “unten” platt und kahl. Und trotz gelingt es vielen Tieren brillant, sich dort, wo welches wächst, im nicht einmal sehr hohen Gras zu verstecken. Es kam häufiger vor, dass unser Fahrer hielt und wir trotz angestrengten Spähens nicht wussten, was er nun wieder gesehen hat – und nur ein paar Meter weiter döste ein Löwe im Gras. Er war zuvor für uns wie unsichtbar. Wären hier Wanderungen erlaubt – Wanderer hätten die gleiche Lebenserwartung wie eine Eintagsfliege im Reptilien- (oder Amphibien-?)terrarium. Bei der letzten Rast in Ngorongoro ließen es sich Affen übrigens nicht nehmen, wie aus dem Nichts durch die Dachluke in einen Jeep zu grabschen und Essen zu mopsen. Aber das kannten wir ja nun schon.

Dieses wunderschöne Erlebnis liegt heute gefühlt mehr als einen Tag zurück; die Arbeit hat mich wieder. In dieser Woche muss ich ein wichtiges Teammeeting vorbereiten, meine begonnenen Projekte fortsetzen und mich am Freitag auf einer Konferenz den NAFGEM-Mitgliedern vorstellen. Heute am späten Nachmittag findet das erste Volontätstreffen statt, morgen klappt das von mir initiierte Freundschaftsspiel gegen das Kilimanjaro-Waisenhaus tatsächlich. Und dann haben meine Kollegin Honorata und ich beschlossen, direkt nach der Arbeit gemeinsam regelmäßig Sport zu treiben, genauer: zu walken. Mittwoch oder Freitag geht es los. Damit sind dann hoffentlich auch die Zeit vorbei, in der ich bei Anbruch der Dunkelheit (also um 18.30 Uhr) zuhause in meinem Zimmer rumlungere und nichts Besseres zu tun habe, als einen ziemlich zähen und verworrenen Nele-Neuhaus-Schinken zu Ende zu lesen.

Kekse, Knöchel, Käfer

Junaissat, Spielkameradin und Tochter des Hauses
Junaissat, Spielkameradin und Tochter des Hauses

Vor meiner Abreise erzählte mir meine Friseurin Petra, dass sie einmal ein halbes Jahr als Tauchlehrerin auf den Philippinen gearbeitet habe. Das sei nun schon ein Weilchen her. Aber eine Sache habe sie seither verinnerlicht: wie kostbar Trinkwasser ist. “Wenn ich sehe, dass jemand den Wasserhahn länger als nötig aufdreht, zuckt in mir auch noch heute etwas zusammen”, sagte Petra, als ich mir kurz vorm Abflug die Haare auf Tropen-Kürze schneiden ließ. Jetzt verstehe ich sehr gut, was sie meint.

Denn zwar Tansania hat viele schöne Seiten. Aber auch weniger schöne, und dazu gehört für sehr viele Menschen der fehlende Zugang zu sauberem Wasser. Das genießen hier nur 54 Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: in Südafrika sind es 90 Prozent, in Malawi 80 Prozent.

Diesem Fakt Rechnung zu tragen (also: mit Wasser “respektvoll” umzugehen), fällt mir leichter als erwartet: zwei bis drei, maximal vier Liter Wasser reichen dicke für eine Dusche! Auch wenn ich zunächst skeptisch war, als ich meine Dusche sah. Denn oben kommt nichts heraus. Bleibt ein Wasserhahn unten samt Eimer und Maßbecher. Ein Maßbecher über den Kopf reicht zum Nasswerden, zwei zum Abspülen.

Die Hauptkreuzung in Moshi. In dem blauen Haus arbeite ich.
Die Hauptkreuzung in Moshi. In dem blauen Haus arbeite ich.

Apropos Friseur. Die deutsche Namengebung à la Hairgott, Kaiserschnitt oder Mata Hari (Petra!) hat in Moshi noch nicht Einzug gehalten. Hier steht über den Friseursalons meist “Hair Cutz”. (Hair-)Gott sei Dank!

Heute habe ich bei der Arbeit Kekse und Muffins ausgegeben – auf mein “Einwöchiges”. Eigentlich hatte ich auf der Schicht ja vollmundig Apfelkuchen angekündigt. Aber die Bedienung in der Bäckerei meinte, Kuchen sei nichts für Tansanier – obwohl sie Apfelkuchen in der Auslage hatte. Ich habe ihr vertraut und Kekse und Muffins gekauft. Zwar habe ich auf dem Rückweg ein paar Muffins als Wegzoll zahlen müssen: Zwei an die Bedienung im Internetladen, die mir die Fotos vom Kamerachip auf einen Stick ziehen, anders geht es nicht. Und an zwei deutsche Mädchen, die ich Sonntag kennengelernt und heute wiedergetroffen habe. Aber das Süßzeug kam trotzdem gut (und in ausreichender Menge) bei der Arbeit an.

Mit den Keksen und Muffins habe ich mir dann auch die Möglichkeit erkauft, heute zwei Stunden früher zu gehen. Schließlich stand die zweite Trainingseinheit im Tuleeni Waisenhaus an.

Um es vorwegzunehmen: Es war diesmal nicht zu dolle. Ich war aber auch mies vorbereitet: Trillerpfeife zuhause gelassen, Sonnencreme zuhause gelassen, Wasserflaschen im Waisenhaus vergessen, die Trikots waren weggeschlossen. Ein super Trainer.

Das Haus meiner Gastfamilie
Das Haus meiner Gastfamilie

Wir waren heute zu zehnt (später sind noch drei Dorfjungen dazugekommen) und haben bei strahlendem Sonnenschein – also brüllender Hitze – eine Stunde gebolzt. Dabei floß wieder Blut, ein Junge hat sich den Knöchel aufgerissen. Kein Wunder: Der Boden ist ziemlich uneben, und die Kinder spielen barfuß oder in Badelatschen. Blöderweise hatte ich diesmal auch kein Taschentuch dabei. Und den armen Dominik (der mit der Kopfverband) hat’s erneut ordentlich erwischt, sein rechter Fuß tat nach einem Zweikampf weh und der Kleine neigt bestimmt nicht zur Wehleidigkeit. Fazit: ich muss mich besser vorbereiten, sonst geht das nicht allzu lange gut. Immerhin haben sich die Kinder gefreut, mich wiederzusehen, und mir ging’s genauso.

Danach bin ich mit dem Daladala noch auf einen Sportplatz in der Stadt gefahren und habe für mich ein bisschen allein gekickt. So habe ich endlich einmal wieder echten Sport getrieben, das tat gut.

In diesem Zusammenhang gibt es hoffentlich eine schöne Nachricht. Bevor ich nach Tansania fuhr, habe ich mich in München mit Prosper getroffen. Er stammt aus Tansania, ich hatte ihn einfach gegoogelt und anschrieben, um etwas Kisuaheli-Sprachunterricht zu nehmen. Herausgekommen ist kein Sprachunterricht, sondern ein wunderbarer Spaziergang durch die Haupteinkaufsstraße Münchens, wo er mir einfach etwas über Land und Leute erzählt hat. Jedenfalls: Ich habe ihm unter anderem verraten, dass ich in den zehn Wochen gerne einen tansanischen Profi-Marathonläufer treffen und mit diesem trainieren möchte. Heute hat Prosper geschrieben, dass er jemanden in Daressalam gefunden habe. Allerdings habe ich ihm auch gesagt, dass ich gern so cool tanzen könnte möchte wie viele Schwarze. Hoffentlich meinte er nicht das und er hat mir einen Tanzlehrer besorgt …

Gleich fahre ich mit meinem “Gastvater” in die Stadt, um im Pub die beiden deutsch-englischen Champions-League-Spiele zu gucken. Es wird also spät heute. Dabei ist morgen ein wichtiger Tag. Ich führe zwei Interviews und filme diese gleichzeitig, um einen NAFGEM-Kanal bei YouTube zu etablieren. Außerdem fotografiere ich meine Kollegen, um diese tollen Menschen in meinem Blog angemessen vorzustellen. Das heißt, Ihr bekommt endlich ein Bild vom NAFGEM-Team.

Mein Zimmer
Mein Zimmer

Für die Zeit bis dahin noch drei ganz wichtiges Infos über Tansania:
– hier gibt es Käfer, die sind so groß wie amerikanische Überwachungssatelliten über Nordkorea
– Telefongespräche werden abrupt, also grußlos beendet. Das ist etwas, wofür ich beim Ex-Arbeitgeber kurz davor war, Abmahnungen auszusprechen oder Freundschaften zu kündigen.
– die Rotze hochzuziehen und öffentlich in der Nase zu bohren ist alles andere als verpönt. Heute beim Kekseessen hat das aber niemand gemacht.

Anpfiff: das erste Fußballtraining

Ich sitze auf der Dachterrasse eines Café nahe der Double Road, der Hauptstraße in Moshi, und trinke schon den zweiten Kaffee. Der ist auch dringend nötig, denn genau hier endete vor etwa 12 Stunden mein gestriger Tag – und der hatte es wirklich in sich…

Der absolute Knaller war das Fußballtraining mit den Waisenkindern. Als ich um 10 Uhr den Innenhof des Waisenhauses betrat, erschrak ich allerdings zunächst. Das Tuleeni-Waisenhaus besteht aus einem matschigen Innenhof, der nur unwesentlich größer ist als ein durchschnittliches Wohnzimmer in München-Bogenhausen. Darum gruppieren sich U-förmig ein kleine, offene Garküche, eine Waschküche, zwei “Büros”, ein Hühnerstall und vier, fünf Wohnräume. Eigentlich ist das mehr ein Haus für eine Großfamilie als ein Komplex, der sehr viele Menschen beherbergen soll. Im Tuleeni Waisenhaus leben über 50 Kinder zwischen 0 und 16 Jahren, insgesamt betreut Tuleeni 78 Halbwaisen oder Waisen …

Natürlich wurde ich mit meiner riesigen roten Reisetasche, in der sich die Bälle und Trikots befanden, interessiert beäugt. Auch als ich bei der Tuleeni-Gründerin Mama Faraji und dem Direktor des Waisenhauses, Herrn Sixtus (das ist sein ziemlich römischer Vorname), im Büro saß, schoben die Kinder immer wieder ihre Köpfe neugierig in die Tür. Der Empfang von Mama Faraji und Sixtus war wie immer in Tansania: absolut offen, freundlich, geradezu herzlich. Und so fühlte ich mich auch hier sofort integriert und akzeptiert.

Sixtus erzählte mir etwas über die Geschichte des Hauses, die Gegenwart (besser: die gegenwärtigen Probleme) und die Zukunftsvisionen. Die bestehen im wesentlich in einem Umzug. Das Grundstück dafür ist schon gekauft, fehlt nur noch das Geld für den Bau der Gebäude… Danach besprachen wir die Gestaltung des Trainings, und dann ging es auch schon los.

Zuerst beschrifteten die Kinder von mir mitgebrachte Namenschilder und klebten sich diese aufs T-Shirt. So konnte ich sie mit persönlich ansprechen. Danach musste jeder einen Fußball aufpumpen. Währenddessen erklärte ich Helen (12) und Vanessa (10) nach bewährtem “1,2 oder 3”-Vorbild zu Kamerakindern. Helen fotografierte für mich, Vanessa filmte. Und als ich eigentlich schon zum nahe gelegenen Fußballfeld aufbrechen wollten, griff Mama Faraji zur Trillerpfeife und übernahm ganz Drill-Instructor-mäßig das Aufwärmprogramm. Großartig. Als Trainer (oder “teacher”, wie mich die Kindern nennen) konnte ich mich nicht davor drücken. Als ich mich beim Bockspringen als Bock zur Verfügung stellte, ein Kind nicht weit genug kam, mit seinem Hintern auf meinem Kopf landete und der ganze Hof lachte, merkte ich, dass es angebracht ist, autoritärer aufzutreten…

Darum bemühte ich mich redlich, als wir das Fußballfeld (ein verdörrter, aber zum Fußball durchaus geeigneter Acker) erreicht hatten. Ein Wahnsinn, 16 Kinder bändigen zu müssen! Die erste Übung klappte noch ganz gut. Jeweils zwei Kinder mussten sich den Ball zuspielen. Bei der nächsten Übung war dann schon Schluss mit Technikschulung. Das Zupassen eines Balles zwischen zwei Gruppen klappte noch ganz gut. Als ich vier Gruppen daraus machte, die sich über Kreuz zwei Bälle zuspielen sollten, endete das im heillosen Chaos. Abpfiff – und Anpfiff zum Spielen… Vorher verteilte ich den 16 offenbar an ADHS leidenden Kindern die Trikots (danke nochmal für die Pelé-Sports-Spende, Maria!) – eine einziges Gekreische und Gezerre. Mir schwante Böses.

Doch das Fußballspiel selbst war wenig dramatisch, die Kinder knubbelten sich um den Ball, von Spiel konnte keine Rede sein. Aber egal. Sie hatten ihren Spaß! Selbst der Kleinste von ihnen, Derrick (maximal drei Jahre alt, tippe ich), der plötzlich mit blutiger, aufgeplatzter Unterlippe vor mir stand. Mein Stofftaschentuch, das er zum Blutabwischen nutzte, durfte er natürlich behalten… Oder Dominik, der erst gar nicht mitmachen konnte, lässig in der prallen Sonne lag, auf meine Wertsachen aufpasste und mehr oder weniger das Spiel verfolgte. Sein Handicap: Er hatte vor einigen Tagen einen Streit zweier betrunkener Männer beobachtet. Einer der Männer wollte dem anderen einen Stein an den Kopf schleudern, verfehlte ihn – und traf Dominik mitten auf die Stirn. Er musste genäht werden und trägt jetzt so etwas wie einen Stirnturban. Im übrigen laut Sixtus auch eine wirtschaftliche Katastrophe für ein Waisenhaus, wo jeder Tansanische Schilling zählt. (Übrigens: So einen Treffer habe ich auch schon mal bei meinem Bruder gelandet, er wird sich erinnern…)

Etwas mulmig wurde mir zumute, als immer mehr Dorfjugendliche ans Spielfeld kamen. Sixtus, der mich zum Fußballfeld begleitet hatte und bereits wieder gegangen war, hatte mich gewarnt, dass sie die Bälle klauen wollen. Die Lösung war einfach: Ich habe die Dorfjugend mitspielen lassen und ihnen ebenfalls Trikots gegeben. Hat funktioniert.

Also: Es war nervlich anstrengend und ab sofort bewundere ich jeden Jugendtrainer. Aber es war auch toll! Genau das, wovon ich immer geträumt habe! Als wir nach drei Stunden (!) im Gänsemarsch zurück zum Waisenhaus gegangen sind, kein Ball und kein Trikot fehlte und zwei Kinder nach meinen Händen griffen, war das ein sehr schönes Gefühl. Trotz des Sonnenbrands auf meinen Armen und im Nacken.

Im Waisenhaus wartete nicht etwa was zu trinken auf uns, sondern Teller randvoll mit fetter, jedoch schmackhafter Bohnensuppe. Also saß ich mit den Kindern da. Verschwitzt. Kurz vorm Verdursten. Verlauste Hunde zu meinen Füßen. Aber glücklich. Mir ist schon jetzt klar, dass mir die Kinder sehr ans Herzen wachsen werden. Da ich heute nur verkatert (siehe unten), aber nicht krank bin, wage ich ein weiteres Zwischenfazit: Hygiene wird total überschätzt… Für die nächsten Wochen habe ich die Trainingseinheiten auf dienstags und donnerstags 15.30 Uhr festgesetzt, fast so wie früher beim TuS Humfeld… Mal gucken, was NAFGEM dazu sagt, wenn ich früher die Arbeit verlassen muss.

Der spontan organisierte Fahrer (der eigentlich engagierte Fahrer hatte überraschend eine Tour zum Flughafen übernommen statt zu mir …) brachte mich um 14 Uhr nach Hause. Er stellte sich mir als “Helga” vor. Als ich sagte, er könne mich Klausi nennen (was macht eigentlich die Lindenstraße?), zeigte er mir seinen Pass. Er hieß Helgard!

Teil zwei des gestrigen Tages war für mich beinahe ähnlich aufregend. Ich duschte zuhause und fuhr sofort wieder mit dem Daladala in die Innenstadt. Dort ging ich in eine Kneipe, in der auf fünf, sechs Fernsehern und Leinwänden englische Premier League (Arsenal und Chelsea) gezeigt wurde. Natürlich setzte ich mich zu dem einzigen Mzungu, Weißen, unter den bestimmt 150 Gästen in dem abgedunkelten Raum. Er hieß Liam, ist Ire und genauso trinkfest, wie man das von einem Iren erwarten darf. Also trank ich pünktlich zum Anpfiff um 16 Uhr mein erstes Bier des Tages und es blieb wahrlich nicht das letzte.

Liam und ich quatschten die ganze Zeit, statt Arsenal gegen Swansea zu gucken. Er und ist 28 Jahre alt reist seit einigen Monaten durch Afrika. Zuhause habe er es nicht mehr ausgehalten, fühle sich unfrei und unglücklich, sagt er. Nun, nach vielen Monaten, habe er den Sinn seiner Reise durch Ländern wie Südafrika, Mosambique oder Malawi erkannt. Es sei die Erkenntnis, dass es zu Hause doch am schönsten ist und er endlich sesshaft werden möchte – aber nicht mehr als gestresster 100.000-Euro-im-Jahr-Manager wie bisher, sondern auf dem Vieh-Bauernhof der Eltern. Allein deshalb, so Liam, habe sich die Reise gelohnt.

Und er habe noch was auf der Reise gelernt: Dass Deutsche viel, viel netter sind, als allgemein angenommen… Sein schönstes Erlebnis mit Deutschen hatte er aber nicht auf dieser Reise (ich nehm’s nicht persönlich), sondern zuvor bei einem Paris-Urlaub. Dort sahen er und seine Freundin den Schauspieler Daniel Brühl in einem Café und sprachen ihn an. Daniel Brühl setzte sich zu den beiden an den Tisch und unterhielt sich Ewigkeiten mit ihnen, erzählten etwas über die Dreharbeiten von Inglorious Basterds im allgemein und Quentin Tarantino im speziellen.

Der Abend, zu dem es inzwischen geworden war, endete für uns auf der Dachterrasse, auf der ich diese Zeilen gerade schreibe, mit einem indischen Essen und der Gesellschaft von Liams sehr netten Freundin Sarah, die dazugekommen war.

Heute, Sonntag, wollte ich eigentlich meine erste Safari machen. Das habe ich aber nicht mehr organisiert bekommen. Stört mich aber auch nicht besonders, schließlich habe ich noch genug Zeit und außerdem halte ich mich nur an Artikel 1 des tansanischen Grundgesetzes. Dieser lautet: pole, pole. Immer schön langsam…

 

Diät-Cola in Afrika

So ein Perspektivenwechsel ist interessant. Jetzt weiß ich, wie sich die Praktikanten in meiner letzten Firma gefühlt haben. Auch sie bekamen anfangs jede Menge Hefte, um sich “einzulesen”. Genauso erging es mir an meinem ersten Arbeitstag bei NAFGEM. Dort habe ich die Jahresreports der letzten fünf Jahre bekommen, dazu gebündelte Ergebnisse der letzten zehn Jahre sowie die Strategie für die nächsten fünf Jahre. Und das alles in englischer Sprache. Puh. Kein Wunder, dass mir schon um 10.30 Uhr – also nach anderthalb Stunden – beinahe die Augen zugefallen wären.

Wann immer Francis, der Büroleiter, Zeit hatte, holte er mich zu sich und erzählte mir etwas zu Philosophie, Struktur und Arbeitsweise des Vereins. Das war gut und interessant.

Schön und auch nützlich ist die Lage. NAFGEM hat seine drei kleinen Büroräume direkt an der größten und wichtigsten Kreuzung Moshis gemietet. So waren meine Befürchtungen, ich würde an meinem ersten Arbeitstag ins falsche Sammeltaxi steigen oder die Haltestelle verpassen, unbegründet.

Wir sitzen in der dritten von vier Etagen eines Bürohauses. Vom Flur aus kommt man in das Empfangsbüro, dort sitzt Isabella (26). Links geht Francis’ Büro ab, rechts das von Asifiwe (24) und mir. Asifiwe hat gerade ihren Bachelor of Art in Community Economical Development gemacht und spricht im Gegensatz zu Isabella Englisch. Die beiden haben mich heute Mittag zu gebackener Banane (unerwartet trocken und geschmacksneutral) und nachmittags zu Muffins und Nüssen eingeladen. Nett! Noch ein Tipp: Es ist nicht schlau, in Afrika um eine Cola Light (Diet Coke) zu bitten. Gibt’s hier nicht, genauso wenig wie die Notwendigkeit einer “Diet”…

Um 15.30 Uhr war ich mit Adelina verabredet, die mich ins Waisenhaus begleiten wollte. Sie hatte sich verspätet, und so stand ich eine halbe Stunde am belebtesten Platz Moshis herum. Keine gute Idee. Ein Weißer fällt dort einfach auf. Ständig sprachen mich Straßenverkäufer und Taxifahrer an.

Andererseits hatte ich auch Gelegenheit, die Menschen zu beobachten. Dabei fielen mir zwei Albinos auf. Diese Menschen werden in Tansania häufig Opfer von Verfolgungen: Ihrem Fleisch wird eine besondere Wirkung zugeschrieben, entsprechend teuer ist es … Etwas beklemmend, das zu wissen und neben diesen Menschen zu stehen.

Wo wir gerade bei den unschönen Themen sind: Ein anderer deutscher Volunteer musste heute umgehend nach Deutschland abreisen. Sie hat sich eine Augeninfektion zugezogen. In Deutschland kann hoffentlich Schlimmeres verhindert werden.

Job Nummer zwei ist ja das Waisenhaus. Es liegt etwas außerhalb der Stadt – leider in eine andere Richtung als mein Zuhause. Am Samstag findet die erste Fußball-Trainingseinheit statt. Danach muss ich schauen, wie NAFGEM, Waisenhaus und Wohnort unter einen Hut zu bringen sind. Das wird schwierig, soviel steht fest. Nicht nur, dass die Fahrt vom Zentrum über Waisenhaus nach Hause extrem lange dauert – wer will schon einen verschwitzten Typen im Daladala haben, wo sich die Leute wirklich Guinessbuch-reif knubbeln? Eben, niemand… Schau’n mer mal, wie sich das löst.

Gelöst sind jedenfalls andere Probleme, und deshalb hat sich meine Laune auch stark verbessert: Ich habe einen Prepaid-Internetstick! Zwar musste die ganze NAFGEM-Team mithelfen (kaufen, anmelden, freischalten, installlieren), aber nun klappt’s. Bisher hatte ich kaum Kontakt zur Außenwelt bzw. Heimat. Hier ist regelmäßig Stromausfall, deshalb kam ich nicht ins Internet, und das deutsche Handy funktioniert nur für SMS. Egal, jetzt läuft’s. Das nächste “Projekt”: Fotos von der Kamera via Netbook in den Blog übertragen…

Jetzt muss ich arbeiten, die ersten beiden Stunden der Schicht sind rum. Meine (selbstgewählte) Aufgabe ist es, ein Social-Media- und Marketing-Konzept für NAFGEM zu erstellen. Montag will ich es vorstellen.

Viele Grüße nach Deutschland!
Olaf

Fußball in Tansania

Fußball ist in Tansania Nationalsport Nummer eins. Man kann sagen: trotz der Nationalmannschaft, der “Taifa Stars”. Diese waren noch nie bei einer Weltmeisterschaft dabei. Auch die Teilnahme am Afrika-Cup (dem Pendant zu unserer Europameisterschaft) lässt sich an einem Finger abzählen – 1980 …

Die nächsten Versuche stehen vor der Tür bzw. dem Tor. Am 11. und 15. November tritt Tansania gegen den Tschad an. Der Sieger beider Spiele ist bei der afrikanischen Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien dabei. Dort treten fünf Teams aus Afrika an. Das Rückspiel am 15. November in Daressalam liegt zwar einen Tag vor meiner geplanten Rückreise (NICHT aus Daressalam) – steht aber fest auf meinem Terminplan!

Der Afrika-Cup 2012 in Gabun und Äquatorialguinea ist für Tansania gewissermaßen beinahe schon Vergangenheit. Tansania spielt in einer Qualifikationsgruppe mit Algerien, Marokko und der Zentralafrikanischen Republik. Vor dem sechsten und letzten Spiel am 8. Oktober 2011 beim Gruppenersten Marokko sieht es schlecht aus. Tansania ist zurzeit Dritter (http://www.afrika-cup.de/qualifikation/gruppe-d-afrika-cup-2012/) und es hätte etwas Voodoohaftes, wenn das Team noch Gruppenerster wird oder zu den drei Gruppenbesten der elf Qualifikationsgruppen gehört, die 2012 dabei sein dürfen.

Angesichts dieser bescheidenen nationalen Perspektiven ist Fuß ball-Basisarbeit gefragt.

Am 7. September geht’s im Tuleeni Waisenhaus in Moshi damit los…

Die Safari beginnt: Tansania

Achtung, dieses Tansania-Wissen reicht bei “Wer wird Millionär” nur bis etwa 16.000 Euro: Das ostafrikanische Land grenzt im Norden an Kenia und Uganda, im Süden an Sambia, Malawi und Mosambik, im Westen an Ruanda, Burundi und die DR Kongo sowie im Osten an den Indischen Ozean. Tansania ist etwa zweieinhalb mal so groß wie Deutschland, hat aber im Vergleich dazu aber nur ca. 41 Millionen Einwohner. Nationalsprache ist Swahili, Amtssprache im weiteren Sinne Englisch. Daneben gibt es über 100 weitere Sprachen. Hauptstadt des Staates ist Dodoma, Regierungssitz Daressalam.

Tansania ist seit 1961 unabhängig. Das demokratische Land ist seit langem von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont geblieben. Jeweils ca. 40 Prozent der Einwohner sind Muslime oder Christen. Die Religionen leben friedlich neben- und miteinander.

Die Währung heißt Tansania-Schilling (TS). Ein- und Ausfuhr sind strengstens verboten. 1000 TS sind umgerechnet etwa 0,44 Euro.

Das Land ist arm – trotz der Bodenschätze und weltweit bekannten touristischen Anziehungspunkten wie den Kilimanjaro, der Serengeti, den Arusha- oder Tsavo-Nationalpark, den Ngorogoro-Krater (mit der größten Wildtier-Dichte weltweit) oder der Insel Sansibar.

Ich werde in Moshi leben.

Die 130.000-Einwohner-Stadt liegt ganz im Norden des Landes und ist als Ausgangspunkt für Kilimanjaro-Touren bekannt. Das Klima dort ist gemäßigt-tropisch. Im September betragen die Tagestemperaturen im Maximum durchschnittlich 29 Grad (Oktober 31 Grad, November 32 Grad), es scheint täglich durchschnittlich sieben Stunden lang die Sonne (Oktober und November acht Stunden). Immerhin: Nachts kühlt es auf ca. 15, 16 Grad ab.

Und auch das muss gesagt werden: Amnesty International prangert Menschenrechtsverletzungen unterschiedlicher Art in Tansania an.